Kapitel IV: Herr der Neun Höllen
Grimwardt
Mephistar, Hauptstadt des Achten Höllenkreises, sieben Tage später.
Grimwardt konnte verstehen, warum es Baalzebul nach Cania zog. Ihre Reise über den Styx hatte sie durch stählerne Kettenstädte, giftige Sümpfe und feuerspeiende Vulkangebirge geführt. Manche dieser Orte waren abstoßend gewesen, andere ehrfurchtgebietend, aber keine von so tödlicher Schönheit wie die Hofgärten von Schloss Mephistar. Es war so kalt, dass die Tränen, die der eisige Wind ihnen in die Augen trieb, sofort an den Wimpern gefroren. Ohne Schutzzauber konnte kein Sterblicher in dieser Eiswüste überleben. Kunstvolle Eisgebilde in Form von Blumenbeeten, Skulpturengruppen und Heckenlabyrinthen umgaben das Schloss, das ebenfalls gänzlich aus Eis und Schnee gefertigt war. Die gläserne Pracht wurde nur hin und wieder von einem schwach-roten Glühen durchbrochen, das unter der kalten Oberfläche zu lauern schien und die Eisgebilde zum Weinen brachte. Dieses Glühen, das Mephistar langsam zum Schmelzen brachte, wusste Grimwardt, rührte von Mephistopheles‘ Experimenten mit Höllenfeuermagie unter dem Gletscher Nargus, auf dem die Stadt erbaut war. Er war lange genug in der Hölle, um zu wissen, dass die Wetterbedingungen hier jeder natürlichen Erklärung trotzten. In Baator hatte alles seine Ordnung, nichts war zufällig. Wenn Cania wie die anderen Höllenkreise die Seele ihres Herrschers spiegelte, dann fragte er sich, wovor man sich wohl mehr in Acht nehmen sollte: vor der eisigen Berechnung oder dem darunter lodernden Zorn, für die der Herr des Achten Höllenkreises berüchtigt war…
Die Eisteufel-Wächter, die vor dem Eingang Spalier standen, um die sterblichen Bewunderer ihres Herrn zu empfangen, warfen nur einen flüchtigen Blick auf die Einladungen. Die Verachtung der geringeren Teufel für Mephistos sterbliche Gäste und ihr Verdruss über die narzisstischen Kult-Inszenierungen ihres Herrn kamen den Gefährten zugute. Ehe sie sich versahen, wurden sie von einem Pulk lärmender Kultisten in den Palast geschleust. Sie ließen sich vom Hauptstrom treiben und landeten in einem riesigen Eissaal, in dem es von schwarzen Kuttenträgern nur so wimmelte. In der Mitte des Saals hing – in lästerlichem Kontrast zu der märchenhaften Umgebung – ein rostiger Käfig von der Decke. Das Blut des erstochenen Gefangenen tröpfelte auf einen erhöhten Altar, auf dem… Grimwardt wandte sich eilig ab, doch das abscheuliche Treiben der Teufelsbuhle und ihres Baatezu-Freiers hatte sich bereits mit boshafter Hartnäckigkeit in seinem Bewusstsein festgebissen. Als er der nächstbesten Tür zustrebte, stieß er mit einem der Kuttenträger zusammen.
„Ah, gut, ein neues Opfer!“, lallte der Zugedröhnte und starrte Miu aus tellergroßen Pupillen an. Da Verkleidungen Mius Ordensphilosophie zufolge nicht besser als Lügen waren, war es ihr verboten, ihre Gestalt zu verhüllen. Ihre Freunde hatten ihr darum kurzerhand eine Fußfessel verpasst und sie am Stadttor als „Mitbringsel“ ausgegeben. So apathisch wie sie war, musste sie das resignierende Opfer nicht einmal spielen…
„Finger weg, die ist für den Herrn“, knurrte Grimwardt.
Der Kultist grinste ihn dümmlich an, ehe seine Worte den Weg in sein drogenzerfressenes Hirn fanden.
„Für den Herrn?“ Er gluckste. „Siehst mir nicht so aus, als ob du zum inneren Zirkel gehörst…“
Fassungslos starrte Grimwardt ihm nach, als er wieder in der Menge verschwand. Welcher Wahn konnte einen Menschen befallen, sich derart zu benebeln, dass es ihm gleichgültig war, ob er Roulette mit seiner Seele spielte? Gewiss, die Hölle hatte kein Monopol auf das Böse; Götter wie Cyric oder Tyrannos waren für mindestens so viele Gräueltaten verantwortlich wie Mephistopheles. Aber zumindest verhöhnte kein Gott seine Anhänger oder folterte und verspeiste ihre Seelen. So wie der Landesherr dem Bauern Schutz für seine Lehndienste zollte, so schuldeten die Götter den Seelen ihrer Anhänger einen sicheren Übergang aus der Stadt der Seelen. Asmodeus und seine Brut jedoch nährten sich vom Unwissen, vom Schmerz und von den Hoffnungen ihrer Opfer, bloß um den Göttern ins Gesicht spucken zu können: „Seht her, und sie wählen und trotz alledem!“
Im nächsten Raum war es so glühend heiß, dass nur Magie die Eiswände vom Schmelzen abhalten konnte. Vor einem brodelnden Becken mit rot-schwarzer Vulkanflüssigkeit hatte sich eine Warteschlange gebildet. Sobald sich auf der Oberfläche des Kratersees eine Luftblase zu bilden begann, eilte ein Trupp fliegender Imps mit einer Planke herbei, die der Vorderste der Wartenden beschritt, um sich in der Feuerblase einschließen zu lassen. Für wenige Augenblicke schwebte der Unglückliche mit hochrotem Kopf und schmerzverzerrter Grimasse über den Köpfen der Schaulustigen, bevor er einen markerschütternden Schrei ausstieß und flehend mit den Fäusten gegen die Kugel trommelte, woraufhin diese zerplatze und dem brodelnden Feuersee die Entsorgung überließ. Der nächste Kandidat hatte offenbar aus den Fehlern seines Vorgängers gelernt, denn er verzichtete auf das Trommeln, was die Zuschauer in den zweifelhaften Genuss des Schauspiels brachte, wie sein Körper in der Kugel zu einem Klumpen schwarzer Asche zusammenschrumpelte.
Bei Hammer und Helm…
Grimwardt dankte den Göttern für das gesunde Maß an mangelnder Neugier, das ihm mitgegeben war und wollte sich abwenden. Leider war diese Gabe bei seinem Freund leidlich kurz gekommen…
„Gehört das zum Programm oder gibt’s ‘ne Belohnung für den Spaß?“, wandte sich Faust an einen der Zuschauer. Dieser musterte ihn von oben herab, bevor er sich wieder dem Feuersee zuwandte.
„Ist wohl dein erstes Mal hier, Lichtgeburt! Wer es ohne Gezeter in einer Höllenfeuerblase aushält, bis sie platzt, der darf gegen Emrateph kämpfen, das weiß doch jeder! Und wer die Feuerprobe und den Kampf besteht, der wird zum Herrn vorgelassen und in den inneren Zirkel aufgenommen.“
„Hm“, machte Faust. „Harte Nuss, dieser Emrateph?“
„Hart?“ Der Kultist lachte irre. „Vor zwei Jahren wurde sein Vorgänger besiegt und seither ist es niemandem mehr gelungen, zum Herrn vorgelassen zu werden! Ein Dämon, das ist er, eine abscheuliche Missgeburt! Ein Dämon mit einem Wolfs- und einem Schlangenkopf!“
… und er besitzt etwas, das Tempus gehört!
Mit einem Mal war Grimwardt dankbar dafür, dass Faust seine Klappe nicht halten konnte.
Keine zehn Minuten später harrte er am Ende der Warteschlange selbstmörderischer Irrer, die es gar nicht erwarten konnten, sich in einer Blase sengenden Höllenfeuers braten zu lassen. Alle anderen Anwärter trugen Pergamente bei sich, die sie vor Antritt ihres Martyriums dem Hornteufel überreichten, der das Spektakel überwachte. Vermutlich eine Art Genehmigung, die man Jahre im Vorhinein bei irgendeinem Amnizu-Bürokraten beantragen musste. Doch das Problem war schnell gelöst. Während Faust einen der Kandidaten mit Lästereien ablenkte, stahl ihm Winter das kostbare Dokument aus der Kutte. Als der Unglückliche ohne Fahrschein vor dem Wärter erschien, wurde er kurzerhand in das brodelnde Becken gestoßen. Unter den Umständen kein besonders schwerwiegender Verlust, fand Grimwardt.
Er nutzte die Wartezeit, um sich mit ein paar heimlichen Gebeten auf seinen Auftritt vorzubereiten. Als „Ikrem der Hitzige“ wurde er schließlich angekündigt. Nicht wenige seiner Vorgänger waren schon in der Anfangsphase gescheitert. Doch Grimwardt hatte Glück: Er erwischte eine Feuerblase, die nicht sofort zerplatzte, als er sich auf dem anschwellenden Gebilde positionierte. Für einen Augenblick fürchtete er, dass er zu schwer sein könnte für die zarte Membran der Feuerkugel, doch die Wände hielten seinem Gewicht stand und er spürte, wie er in die Höhe getragen wurde. Zunächst schien die Sache ein Kinderspiel. Seine Schutzzauber wehrten die Hitze ab. Doch dann schlich sich eine andere Hitze unter seine Haut. Das war keine natürliche Hitze!
Höllenfeuer.
Schweiß brach ihm aus allen Poren. Die Kutte, das einzige, was er am Leibe trug, hatte sich innerhalb eines Lidschlags verflüchtigt und Bart- und Haupthaare kräuselten sich trotz magischem Schutz zu schwarzen Aschefäden. Wie ein Ertrinkender klammerte er sich an das heilige Symbol, das er in seiner Hand versteckt hielt. Flüchtig nahm er wahr, dass irgendetwas mit seiner Haut passierte: Die kleinen Härchen auf seinem Arm hatten Feuer gefangen – schwarzes Feuer! – und darunter bildeten sich Brandblasen, die in rasender Schnelle aufplatzten und die darunterliegenden Hautschichten freilegten. Vor allem aber verspürte er den unwiderstehlichen Drang loszubrüllen wie ein Schwein am Spieß.
Alles nur das nicht! Eher sollen sie mich als verkohltes Stück Fleisch aus dieser Blase puhlen!
Das war sein letzter Gedanke, bevor die Feuerblase plötzlich ohne Vorwarnung zerplatzte. Ein dünnmaschiges Netz drängte sich zwischen ihn und den rasant heran stürzenden Feuersee und die Imp-Helfer brachten ihn unter dem Getöse der Umstehenden, die ihre Wetteinsätze einlösten, sicher „an Land“. Undeutlich gegen den Nebelvorhang, der noch immer über seinem Blick lag, machte er über sich die Gestalt eines Hornteufels aus.
„Ich bestätige, dass Ikrem der Hitzige die Feuerprobe erfolgreich bestanden hat. Gegen eine Gebühr von 1000 Gold mögt Ihr nun das Vorrecht erwerben, Euch dem Gladiator Emrateph im Zweikampf zu stellen.“
Faust
Nachts in der „Styxgrube“, Mephistar.
Wutschnaubend zerrte Faust den Kuttenträger von seinem Strohlager und stieß ihn aus der Schlafkammer. Seine beiden Gefährten segelten kurz darauf hinterher. Rippen brachen und Knochen splitterten, als die drei Teufelsanbeter in die gegenüberliegende Wand krachten, doch sie waren so zugedröhnt, dass sie es bei einem Schwall skurriler Beleidigungen beließen, ehe sie wieder in wüste Drogenträume abdrifteten. Scheppernd fiel die Tür hinter ihnen zu.
„Eher penn‘ ich im Schnee, als dass ich mir ein Zimmer mit diesen Trotteln teile“, knurrte Faust und ließ sich frustriert auf eines der Lager sinken. Die Stadt war so überfüllt, dass sie selbst in dieser Absteige am Rande der toxischen Zone nur noch einen Großschlafraum hatten ergattern können. Normalerweise hätte Winter mit ihrem magischen Palais Abhilfe schaffen können. Doch Winter sah nicht so aus, als ob sie in absehbarer Zeit irgendwas zaubern würde…
Da er ohnehin nicht schlafen konnte, übernahm er die erste Wache.
Er musste irgendwas töten.
Ein voller Monat in einem Boot mit Tyrail ohne einen einzigen guten Kampf war mehr, als er ertragen konnte. Mann, wie er Grimwardt um den bevorstehenden Kampf mit diesem Dämon beneidete! So hatte er sich sein Höllenabenteuer jedenfalls nicht vorgestellt. Was den Pakt mit Baalzebul anging, waren sie keinen Schritt vorangekommen. Falls Baalzebuls Informationen stimmten und Mephistopheles tatsächlich einen Zauber entwickelte, der Asmodeus entmachten sollte, dann war es ratsam mit Nachforschungen in der Höllenfeuer-Akademie zu beginnen. Doch Sterbliche hatten keinen Zutritt zu dem magischen Labor. Sie mussten also einen anderen Weg finden. War es naiv auf die Hilfe seines Vaters zu hoffen? Allerdings war auch Lord Ares derzeit unerreichbar, denn vermutlich befand er sich in Mephistos Gesellschaft. Vielleicht sollten sie doch darauf hoffen, dass Grimwardt bei Mephistopheles eine Sondergenehmigung zur Erkundung der Akademie erwirkte, sollte er den zweiten Teil der Prüfung bestehen. Oder sie drehten den Spieß um und verrieten Baalzebul an Mephistopheles – um den Preis von Omegas Seele. Immerhin hatten sie nur zugestimmt, nach Beweisen für Mephistos Verrat zu suchen. Nichts band sie an ihren Pakt, sofern sie keine fanden…
Plötzlich hörte er etwas - ein leises Scharren an der Zimmertür. Faust zog sein Schwert, stellte sich mit dem Rücken zur Wand neben dem Eingang und lugte vorsichtig durch den Türspalt. Einer der Kultisten war aus seinem Rausch erwacht und suchte im Dunkeln nach dem Türknauf.
Du forderst es echt heraus, Mann.
Leise, um die anderen nicht zu wecken, schlüpfte Faust aus dem Zimmer, überwältigte den Unlehrsamen und hielt ihm sein Schwert an die Kehle. Der Kuttenträger grinste ihn aus glänzenden Augen an.
„Ich hab‘ ihn gesehen“, flüsterte er. „Schick mich zu ihm!“
„Mit dem größten Vergnügen.“
„Faust…“ Winter harrte bleich wie ein Gespenst auf der Türschwelle. „Bitte…“
Faust erschauderte bei ihrem Anblick. Doch er nickte.
„Aber nicht hier“, murmelte er.
Er schlug sein Opfer bewusstlos, schulterte den schlaffen Körper und führte Winter aus der Spelunke am Styx in die toxische Zone. Das Gebiet rund um die Höllenfeuer-Akademie war verseucht von magischen Abgasen. Den Teufeln konnten die Schadstoffe nichts anhaben, doch für Menschen konnte der Aufenthalt hier lebensgefährlich werden, darum war dies wohl der einzige Ort in Mephistar, wo ihnen kein benebelter Kuttenträger über den Weg laufen würde. Faust und Winter waren dank Grims gesegnetem Abendmahl vor Vergiftungen geschützt. In einer unbelebten Gasse ließ er seine Last zu Boden sinken. Es gab keine Sonne, keinen Rhythmus von Tages- und Jahreszeiten in Baator. Von irgendwoher schien ein Licht, doch es war ein schwaches, milchiges Licht, das den Tag kaum erhellte und die Nacht nicht recht verhüllte. Eine eisige Brise wirbelte den Schnee zu ihren Füßen auf. Fröstelnd verschränkte Faust die Arme vor der Brust.
„Ähm… wie…?“
„Töte ihn langsam.“
Faust hätte einen sauberen, schnellen Tod durch das Schwert bevorzugt, doch um Winters Willen nahm er den Dolch. Röchelnd schlug das Opfer die Augen auf, doch schon war Winter über ihm, spinnengleich und lauernd wie ein Vampir. Etwas geschah mit seinem Schatten… ein Pulsieren, ein Anschwellen wie bei einer Geburt. Ein letztes Aufbäumen, dann brach ein Lichtball aus dem Schatten des Sterbenden. Danach war er schattenlos, wie leergesaugt.
Winter richtete sich auf. Ihre Augen waren Obsidiane, schwarz und pupillenlos. Ihr eigener Schatten wuchs hinter ihr zu etwas Monströsem an. Sie war so unbeschreiblich schön und so unbeschreiblich… abscheulich. Sie gehört hierher, dachte Faust, hier in diese unwirkliche Winterlandschaft. Er spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten bei diesem Gedanken.
„Es tut mir leid… Du hättest das nicht sehen sollen.“
Er sah die Furcht in ihrem Blick. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er sie schon eine ganze Weile so anstarrte. Trotzdem konnte er den Blick nicht von ihr wenden. Wie jemand, der noch in einem Traum gefangen war. Sie hatte Angst, erkannte er, Angst, dass er sich von ihr abwenden würde. Zu wissen, was sie war, und es zu sehen, waren zwei Paar Schuhe…
Vielleicht muss ich dich irgendwann töten. Seine Gedanken flossen zäh. Aber verdammt, Winter, ich werde dich NIEMALS verlassen.
Grimwardt
Schloss Mephistar, drei Tage später.
Trommelwirbel und düstere Chorgesänge begleiteten ihn, als er sich einen Weg zu dem Kampfkäfig bahnte. Er war nicht so gut vorbereitet wie er es gerne gewesen wäre. Um nicht seine wahre Identität preiszugeben, hatte er auf einige Gebete verzichten müssen, die ihm für gewöhnlich Kraft und Ausdauer verliehen. Auch sein Schild, den Tempus‘ Flammenschwert zierte, würde ihm hier eher hinderlich sein.
Schließlich fiel das Käfiggitter hinter ihm ins Schloss und er stand dem Dämon aus seiner Vision gegenüber. Schaum hatte sich vor Emratephs Wolfsmaul gebildet und sein flammenumtanzter Körper bebte vor Zorn und Rastlosigkeit. Auf dem Schlachtfeld war er unzweifelhaft eine fürchterliche Erscheinung. Doch in Canias Kerkern war der entmachtete Tanar’ri-General täglich den Demütigungen seiner Baatezu-Peiniger ausgeliefert – kein Zweifel, dass er jede Gelegenheit ergreifen würde, alles in Fetzen zu reißen, was ihm zwischen die Klauen geriet. Oder besser: vor die Äxte. Er trug eine schwere Streitaxt, doch es war die kleinere Handaxt, der Grimwardts Aufmerksamkeit galt. Denn was in den Pranken des Dämons wie eine Parierwaffe wirkte, erkannte der Auserwählte des Tempus als Ambrosia, die Streitaxt des Standhaften! Die Waffe gab durch nichts zu erkennen, welche göttliche Macht ihr innewohnte, doch Grimwardt hegte keinen Zweifel, dass er am Ziel seiner Suche angelangt war.
Der Dämon wartete nicht einmal, bis der Käfig über den Köpfen der Zuschauer baumelte, ehe er sich brüllend und zischend auf Grimwardt stürzte. Bevor der Priester auch nur seine Waffe heben konnte, überzog er ihn mit einer wilden Serie von Bissen und Axthieben. Doch etwas lenkte jeden seiner Hiebe ab. Auch die Flammen, die seinen Körper umtanzten, konnten Grimwardt nichts anhaben, und das Schlangengift stießen seine Schutzzauber ab. Verblüfft taumelte der Dämon gegen das Käfiggitter und für einen Augenblick, sodass nur die beiden Kontrahenten es sehen konnten, flackerten die Runen auf Ambrosias Axtblättern auf. Grimwardts Mundwinkel verzogen sich zu einem grimmigen Lächeln. Tempus war also doch bei ihm! Selbst hier, selbst an diesem gottlosen Ort!
Der Eisengott hat dich geschickt, erkannte nun auch Emrateph.
Rasend vor Zorn schmetterte er die verräterische Waffe von sich und zischte einen Bannspruch, um Grimwardts Schutzzauber zu bannen, doch gegen Tempus‘ schützende Hand kam er nicht an. Sein Wolfsgeheul war das letzte Aufbegehren eines Todgeweihten. In aller Zuversicht sammelte Grimwardt seine Kraft in einem einzigen Schlag. Ein beseelter Schlag mitten in das hasserfüllte Wolfsherz des Dämons. Ein zweiter Axthieb brachte das Schlangenherz zum Stocken. Ein weiterer Hieb und das Herz des Dämons zerbarst in einer Feuerexplosion, die Emrateph in Fetzen riss und Grimwardt krachend gegen die Gitterstäbe schleuderte. Er hörte Rippen splittern, doch der Triumph war größer als der Schmerz, als er Ambrosia endlich in Händen hielt. Er bezweifelte, dass ihm irgendwer die Trophäe streitig machen würde, denn in den Augen der Teufel war sie nichts als eine ganz hübsch gearbeitete, aber unmagische Waffe.
Doch die Freude währte nicht lange.
Die rituellen Gesänge, die mit Grimwardts Sieg ihren dramatischen Höhepunkt erreicht hatten, erinnerten ihn daran, was jetzt folgen würde. Während der Käfig zu Boden gelassen wurde, bildeten die Umstehenden einen Korridor, der zu dem Teufelsaltar in der Mitte des Saals führte, wo man von „Ikrem dem Hitzigen“ erwartete, dass er seinen Glauben unter Beweis stellte, ehe er zum Höllenfürsten von Cania vorgelassen wurde.
Winter, jetzt! übermittelte Grimwardt seiner Schwester das verabredete Signal. Um mit seinen Gefährten geheime Nachrichten austauschen zu können, hatte er sie vor dem Kampf mit einer telepathischen Kette verbunden. Sofort spürte er ihre Präsenz in seinem Geist, gab dem magischen Drängen nach und fühlte, wie er fortteleportiert wurde, während sein Körper zurückblieb. In Winters Gestalt sah er sich selbst dabei zu, wie er vor dem schwarzen Altar niederkniete. Von der Saaldecke hing auch dieses Mal ein Käfig mit einem Opfer – einem Elenden aus den Tiefen der canianischen Folterkammern. Er gab keinen Laut von sich, als sich ein fliegender Hornteufel dem Käfig näherte und ihm das Herz aus der Brust riss. Während sich das Blut des Toten über den Altar ergoss, wurde Winter das pulsierende Organ zum Verzehr gereicht. Zwischen jedem Bissen sagte sie eine Zeile des canianischen Glaubensgebets auf und der Chor antwortete ihr mit hundert Stimmen. Dem Priester wurde speiübel, als er sich selbst dabei beobachtete, wie er in der gehässigen Sprache Baators diesen schändlichen Spottgesang vom Stapel ließ. Den Wortlaut hatte Winter am Tag zuvor einem Teufelsanbeter entlockt, den sie magisch unter ihre Kontrolle gebracht hatte, um Informationen über den Ablauf des Kampfes zu erpressen. So hatte sie überhaupt erst von diesem Ritual erfahren und ihren Bruder davor bewahrt sein Seelenheil aufs Spiel zu setzen. Etwas, das Grimwardt ihr niemals vergessen würde…
Vergebt uns… Vergebt MIR, dass ich sie tun lasse, was ich nicht kann.
Er war dagegen gewesen. Lieber hätte er sich gleich nach dem Kampf als Tempus‘ Auserwählter zu erkennen gegeben als DAS. Aber dann hätten sie ihre einzige Chance verpasst, an Mephisto heran zu kommen. Ohne seine Freunde wäre er niemals so weit gekommen. Nun konnte er sie nicht enttäuschen. Tempus würde das verstehen. Im Krieg war manchmal Mut, manchmal Listenreichtum gefragt und das hier war, in gewisser Weise, ein Krieg. Ein Seelenkrieg. Aber würden das auch die anderen Götter so sehen?
Nachdem das Ritual beendet war, kehrte Grimwardt in seine eigene Gestalt zurück. Keine Zeit, seiner Schwester ein Dankeschön zu übermitteln, denn schon wieder teilte sich die Menge – diesmal, um einem in teure Gewänder gehüllten Palastteufel Platz zu machen - allem Anschein nach ein hohes Tier. Grimwardt neigte demütig den Kopf, während der Höfling ihn kritisch in Augenschein nahm.
„Der Höllenfürst von Cania ist nun gewillt, Euch zu empfangen“, sprach er schließlich mit verschnupfter Eitelkeit. „Folgt mir, Ikrem, Diener der Schwarzen Hand.“
Großartig.
Er war ohne Zweifel der erste Auserwählte des Tempus, dem ein blasphemischer Ehrentitel verliehen wurde! Grimwardt bemühte sich nicht allzu laut mit den Zähnen zu knirschen und versprach Tempus sich bei nächster Gelegenheit einem dreitägigen Reinigungsritual zu unterziehen.
„Verzeiht“, bat er den Höfling. „Ist es mir gestattet mich dem Herrn in Gesellschaft meiner Gefährten zu präsentieren? Zusammen könnten wir ihm von noch größerem Nutzen sein!“
… oder ihm sein verderbtes Herz aus der Brust reißen!
Faust, Winter, Tyrail und Miu traten vor und neigten vor dem Teufel die Köpfe. Um nicht in die Verlegenheit zu geraten, Miu tatsächlich zum Opferpräsent machen zu müssen, hatten sie der Ordensschwester zu diesem Anlass eine schwarze Kutte aufgezwungen. Grimwardt wusste nicht, was ihn mehr beunruhigte: die Tatsache, dass sie sich nicht einmal zur Wehr gesetzt hatte oder dass sie mit ihrem glasigen Blick mehr als jeder von ihnen dem Bild des fanatischen Teufelsanbeters entsprach…
„Das ist nicht im Protokoll vorgesehen“, erklärte der Teufel missfällig. Sein Blick wurde abwesend, als er Grimwardts Gesuch an seinen Herrn weiterleitete. „Hm.“ Die Antwort schien ihn zu überraschen. „Der Fürst erlaubt es.“
Sie folgten Mephistos Diener in die unteren Etagen des Eispalastes, die den sterblichen Besuchern nicht zugänglich waren. Nachdem sie mindestens ein Dutzend magisch gesicherter Türen passiert hatten, gelangten sie zu einem Portal.
„Der Fürst erwartet Euch am Seelensee.“
Grimwardt trat als erster durch den magischen Torbogen.
Die Berghalle war so groß, dass sie als Hort für eine ganze Drachengeneration hätte dienen können. Um den Seelensee, das Zentrum von Canias Macht, tummelten sich Mephistos Hofstaat sowie jene Festgäste, die es in den inneren Zirkel des Höllenfürsten gebracht hatten. Lustorgien und Saufgelage waren unzweifelhaft Teil des Festprogramms, doch zu seiner Verwunderung konnte Grimwardt weder schwarze Altare noch Opferkäfige oder kannibalische Festbüffets ausmachen. Er fragte sich, ob die Inszenierungen des Bösen, deren Zeuge er in den letzten drei Tagen geworden war, womöglich nur Mittel zum Zweck waren. Was war ein besserer Prüfstein für den blinden Gehorsam eines Untergebenen als die Aufgabe jeglichen Schamgefühls?
Mephistopheles saß, umgeben von seinen engsten Vertrauten, in einem Thron auf einer magisch verstärkten Eisscholle. Als er die Gefährten erspähte, gab der Höllenfürst einen Zauberbefehl, der die Scholle ans Ufer trieb. Er saß leicht vorgeneigt in neugieriger Erwartung mit halb geöffneten Hornschwingen, die den größten Teil seines scharlachroten Oberkörpers verdeckten. Die hohe Stirn des Höllenfürsten wurde von einem Paar mehrfach gedrehter Hörner beherrscht und seine goldenen Augen musterten die Neuankömmlinge mit amüsiertem Interesse. Im Großen und Ganzen versprühte Mephisto eher den Charme eines exzentrischen Dandys als die Aura eines dunklen Herrschers. Zu seinen Füßen hockte eine kleine Elfe mit bronzefarbenen Teufelsschwingen und blassrosa Augen – das musste das Halbblut sein, das Lady Baalphegor am liebsten als Wasserleiche sähe…. Grimwardt streifte sie nur mit einem flüchtigen Blick, ehe er den zweiten Halbteufel erspähte, der unbewegt mit verschränkten Armen im Schatten des Eisthrons harrte. Er war groß und muskulös mit pechschwarzen Hornschwingen, einer Phönix-Tätowierung, die sich von der Hüfte aufwärts schlängelte, und einem scharfen, skrupellosen Zug um die Mundwinkel.
Ist das…?
Der Schwarze Phönix, bestätigte Faust. Mein Vater.
Ein wüster Schwall konkurrierender Emotionen rumpelte durch Grimwardts Geist, der ihn die Idee mit dem telepathischen Band umgehend bereuen ließ. Er hätte es verstanden, wenn die emotionale Schockwelle von Faust gekommen wäre, doch irritierender Weise stammte sie von Winter!
Niemand fasst Antilia an!, meldete sich plötzlich auch noch Tyrail zu Wort. Gleich, was diese Teufelshure uns aufgetragen hat!
Antilia? Woher kennst du ihren…? Grimwardt fasste sich zähneknirschend an den pochenden Schädel. Bei Tempus‘ haarigen Eiern, bin ich hier der einzige, der NIEMANDEN KENNT?! Und jetzt raus aus meinem Kopf, alle miteinander und zwar plötzlich!
Er trat vor und sank vor Mephistopheles auf die Knie.
„Ikrem.“ Als der Höllenfürst die Stimme erhob, wurde es still in der Berghalle. Alle Augen waren auf Grimwardt gerichtet. „Der ganze Palast spricht von Eurem Kampf gegen den Dämon.“
„Ich bin nur ein Diener“, murmelte Grimwardt und hoffte, dass der Fürst sein Hüsteln als Zeichen der Demut deutete.
„Und was sind die Ziele meines treuen Dieners?“
„Mein Fürst….“ Er räusperte sich. „Es wäre mein größter Wunsch das Wesen Eurer Höllenfeuer-Magie zu studieren. Leider ist mir der Zugang zu Eurer Akademie verwehrt…“
„Interessant…“ Der Höllenfürst verzog die Mundwinkel zu einem mokanten Schmunzeln und strich mit seinen geschwärzten Fingernägeln bedächtig durch seinen Ziegenbart. „Wisst Ihr, Ikrem, die meisten meiner Diener hätten die Frage wohl mit einer Auflistung all jener Dinge beantwortet, die sie für mich tun können… Aber Ihr seid nicht wie die anderen, hm?“
„Alles, was ich tue, dient meinem Herrn.“
Mephisto lachte leise und es klang wie das Klirren eines Eisdolchs, der über dem Kopf eines Arglosen zitterte.
„Das ist wohl wahr, Grimwardt Fedaykin, Auserwählter des Tempus.“ Plötzlich war es so still, dass man das Schneeknistern der Wände hören konnte. Mit eisig sanfter Stimme fuhr der Höllenfürst fort: „Bleibt lieber bei Eurer Axt, Grimwardt. Die Maske des fanatischen Eiferers steht Euch nicht.“
„Tempus sei Dank“, brummte der Priester mit grimmiger Erleichterung. Noch mehr Schleim und er hätte sich vor Ekel übergeben!
„Das war Blümchen, diese kleine Ratte!“, zischte Faust gedämpft.
„Glaubt Ihr wirklich, ich sei auf die Spione meiner Feinde angewiesen, um ein paar Seelenräuber zu entlarven, die sich in mein Nest schleichen wollen?“ Genüsslich lehnte sich Mephisto in seinem Thron zurück und schnippte mit dem Finger: „Ares! Erledigt das. Ihr habt doch keine Einwände?“ Wieder dieses Eisdolch-Grinsen.
Grimwardt starrte ihn verblüfft an. Wenn er Fausts Spitznamen für Baalzebuls Informanten kannte, dann wusste er alles! Er wusste von Omegas Seele, von dem Pakt mit dem Herrn der Lügen, von Fausts Suche nach seinem Vater… Und er hatte es die ganze Zeit gewusst und sich ins Fäustchen gelacht, während er, der Auserwählte des Tempus, sich als „Ikrem der Hitzige“ zum Narren gemacht hatte! Und nun besaß dieses Kerlchen die Dreistigkeit sich zurückzulehnen und Ares zu befehlen seinen Sohn zu töten! Als Höhepunkt der Schau. Als Teil eines höfischen Intrigenspiels. Dieser geschniegelte Lackaffe hatte nicht mal den Anstand sich ihnen persönlich im Kampf zu stellen!
Grimwardts Zornader pochte ganz gewaltig.
Ein Zauber ließ ihn zu heldenhafter Größe anschwellen und im nächsten Augenblick stürmte er auf Mephistopheles zu. Eine mentale Barriere ließ ihn zurückprallen.
Plötzlich erkannte der Priester, dass hier etwas nicht stimmte.
Faust
Er spürte den Zeithubbel – eine kaum merkliche Unebenheit im Zeitfluss – und nutzte die Gelegenheit, um sich in Ares‘ Zeitstarre hinein zu mogeln.
„Gibt es irgendetwas, das du mir sagen willst?“
Ares fuhr zusammen, während die Welt um sie herum zum Stillstand kam. Doch sofort hatte er sich wieder im Griff. Hinter seiner düsteren Konzentration spürte Faust Anspannung und Zorn.
„Wärst du früher gekommen, hätte ich gesagt: Mach, dass du hier verschwindest!“, sagte er gepresst. „Aber dafür ist es zu spät. Also lass es einfach geschehen.“
Faust stieß ein bitteres Lachen aus.
„Also was?“, knurrte er. „Bist du ein guter Hund und führst den Befehl deines Herrn aus?“
Zur Antwort begann Ares einen Zauber zu weben. Faust hatte schon viele Verstärkungszauber gesehen, die Menschen in übernatürliche Kampfmaschinen verwandelten; die meisten beherrschte er selbst. Doch keinen, der den Wirker zu Titanengröße anwachsen ließ! Ares breitete die Flügel aus, die in dieser Gestalt den gesamten Seelensee überspannten, und schwang sich in die Lüfte, da die Eisscholle unter seinem Gewicht zerbrechen würde, sobald die Zeitstarre endete. Dann zog er ein Schwert von der Länge eines Eisenwalls, dessen Klinge von schwarzen Flammen umtanzt wurde.
Faust schluckte heftig und nutzte den Rest der Zeitstarre, um sich eiligst selbst mit Flug- und Kampfzaubern zu versorgen. Mit einem einzigen gut gezielten Schwertstreich konnte Ares ihn und all seine Gefährten zweiteilen! Und durch die Zeitstarre hatte er alle Gunst auf seiner Seite, denn seine Riesengestalt würde die anderen völlig unvorbereitet treffen. Faust schloss die Augen. Sein einziger Vorteil war seine Schnelligkeit: Die enorme Größe machte den Halbteufel schwerfällig und die Berghalle begrenzte seine Manövrierfähigkeit.
Mit dem Schwert voran preschte Faust in die Höhe, kaum dass die Welt wieder begonnen hatte, sich um ihn zu drehen. Brüllend hielt er auf das Herz seines Vaters zu, doch die stählerne Brust des Halbteufels widerstand dem Großteil seiner schmetternden Hiebe. Aus dem Augenwinkel sah Faust, wie die Flammenklinge wie ein Henkersbeil auf ihn zuraste.
Er ließ sich fallen.
Dieser Wucht hatte er nichts entgegenzusetzen; allein der Fall konnte ihn retten. Doch er fiel nicht schnell genug. Die Riesenklinge schnitt durch sein Schulterblatt wie durch Papier und versengte seine rechte Körperhälfte mit Höllenfeuer.
Er stürzte in bodenlose Dunkelheit.
Heilender Schmerz holte ihn in die Wirklichkeit zurück.
„Miu…“
Sie war zu tief in ihr Heilgebet versunken, um sein Krächzen zu hören. Sein zerschmetterter Körper protestierte mit Schüttelkrämpfen gegen ihre Resolution, ihn wieder zusammenzuflicken, doch irgendwo hinter dem Nebel aus Schmerz wollte Faust sie vor Erleichterung durch die Luft wirbeln. Er hatte seine Miu wieder! Gut, er hatte sich zu Brei schlagen lassen müssen, um sie aus ihrer Lethargie zu reißen, aber sie war wieder die alte!
Doch da war immer noch… Ares! Abrupt wurde er von einer Welle kalter Wut überschwemmt. Er hätte ihn getötet! Zu Mephistos Erheiterung hätte sein Vater ihn zu Fleischpastete verarbeitet! Und warum? Um seine eigene Haut zu retten? Um…?
Keine Warums mehr.
Stolpernd kam Faust auf die Füße und umklammerte Zwiespalts Schwertheft so fest, dass es schmerzte. Über ihm hatte der Kampf seinen Lauf genommen: Grimwardt und Tyrail hatten den Halbteufel fliegend in die Zange genommen, während Winter verbissen Bannzauber um Bannzauber nach ihm warf. Sie hatte Ares bereits um einen Großteil seines magischen Schutzes gebracht, doch den Titanenzauber hatte sie nicht knacken können. Die Kampfszene wurde von einem düsteren Schlachtenlied untermalt, das Mephistos Geliebte zu dessen Unterhaltung angestimmt hatte. Antilias Stimme beschrieb einen dramatischen Gesangsbogen, als Tyrail in einem Augenblick der Unachtsamkeit von Ares‘ Klinge durchbohrt wurde. Leblos glitt der Elf von der Flammenklinge und stürzte dem Seelensee entgegen.
Zeitgleich schoss Faust in die Höhe.
Dicht an den Körper des schwebenden Halbteufels gepresst, sodass er ihn nicht treffen konnte ohne sich selbst zu verletzten, glitt er sein Rückgrat hinauf; wurde schneller und schneller, bis er die Schultergegend erreicht hatte. Ohne seinen rasanten Flug zu bremsen, stieß er zu und schlitzte ihn schneller auf, als Ares seine Wunden regenerieren konnte. Abrupt wirbelte der Halbteufel herum und ein schmetternder Flügelstreich verfehlte Faust um Haaresbreite. Doch nun hatte er seinen Gegner genau dort, wo er ihn haben wollte. Seine ungeschützte Kehle war keine zwei Meter von Zwiespalts Schwertspitze entfernt. Farbensprühend stob die Chaosklinge durch zähes Gewebe.
Ein Ausdruck düsterer Konzentration trat in Ares‘ Augen, während Blutfäden ein Muster rings um seine aufgeschlitzte Kehle zeichneten. Dann wurden sie plötzlich kalt und hart und schwarze Flammen fraßen sich durch die Phönix-Tätowierung auf seiner Brust. Im nächsten Augenblick implodierte der riesige Körper des Halbteufels zu einer schwarzen Kugel, die alles um sie herum in ihren Sog zog. Dann zerbarst die Kugel in einem Hagelsturm aus Höllenfeuer-Federn, die sich wie brennende Dolche unter Fausts Haut gruben und ihn in die Tiefe rissen.
Der Schwarze Phönix…
Prustend tauchte er aus dem Seelensee auf und stählte seinen Geist gegen die erinnerungsraubende Macht des Styxwassers. Als er sich keuchend an Land zog, stieß er auf Winter, die den bewusstlosen Tyrail aus dem See gerettet hatte. Er folgte ihrem Blick und traf auf Mephistopheles, der seine Fingernägel mit wachsender Verärgerung in die Eislehnen seines Thronsessels grub. Die kleine Bardin harrte zitternd hinter ihm.
„Enttäuschend“, murmelte er. „Wirklich enttäuschend, Ares.“
Der Thron hatte begonnen unter dem Zorn des Höllenfürsten zu schmelzen.
„Amüsiert Ihr Euch?“, knurrte Faust und trat wankend auf ihn zu.
Mephisto sprang auf. Seine Goldaugen hatten Feuer gefangen und der Thron war bloß noch eine dampfende Pfütze. Und während Mephistos Höllenfeuer die Eisscholle schrumpfen ließ, legte sich eine eisige Klaue um Fausts Herz.
Er keuchte auf.
Etwas war falsch. Mephisto war nicht mehr er selbst… Es lag keine Illusion auf ihm. Es war auch nicht so, dass er sich plötzlich verwandelte. Trotzdem spürten es alle, die in dieser Halle versammelt waren. Er sollte jemand anderes sein. Er sollte…
„Asmodeus.“
Grimwardt hatte es ausgesprochen und der gesamte Hofstaat hielt den Atem an.
„Asmodeus ist nicht mehr“, erwiderte der Höllenfürst, während er seinen Ranseur auf sie richtete. In Fausts Geist schwoll er zu etwas Monströsem an. „Ich bin der Herr der Neun Höllen.“
Die Eisklaue um Fausts Herz drückte zu und er ging keuchend in die Knie. In hilflosem Entsetzen sah er zu, wie Winter und Miu leblos zusammenbrachen. Erst als Grimwardt ihn an der Schulter berührte, erwachte er aus seiner Starre und ließ sich von dem Priester auf die Füße helfen. Er wagte es nicht, Grimwardt in die Augen zu sehen aus Furcht, seine eigene Verzweiflung in dessen Augen zu sehen. Gemeinsam stürmten sie los.
In den sicheren Tod.