DRITTES BUCH: QUELL DER SEELEN
Prolog
Drake
Tiefwasser, Schwertküste, zwanzigster Tag der Flammleite, 1382 TZ.
Der Gestank nach Sommerregen, Fisch und Unrat hing schwer in der Luft, als Drake an diesem Abend an den Quais entlang schritt. Ratten huschten durch die Schlammrillen, die Pferdekutschen im aufgeweichten Boden hinterlassen hatten, und aus schmuddeligen Hafenspelunken drang grobschlächtiges Gelächter. Es war eines jener Viertel, wo Huren an jeder Straßenecke lungerten und Bestechungsgelder den Stellenwert von Trinkgeld hatten. Drake verabscheute Orte wie diesen und die Erinnerungen, die sie weckten. Er war schon seit Jahren nicht mehr hier gewesen. Der Albino hatte es längst nicht mehr nötig, seine Kundschaft an Orten zu suchen, die förmlich nach Verbrechen stanken.
Er betrat eine Taverne, nannte dem Wirt seinen Namen und warf ihm ein paar Münzen zu für zwei Becher Wein und das Vorrecht, eine der Sitznischen zu beziehen, die durch Vorhänge vom Schankraum getrennt waren. Wer sich hierher verzog, der war entweder auf zwielichtige Geschäfte oder ein Stelldichein mit einer der Bordsteinschwalben aus. Drake jedoch begehrte weder das eine noch das andere.
Seit zwei Tagen war er bereits in der Stadt. Seine Anwesenheit in Tiefwasser konnte seinem alten Lehrmeister nicht entgangen sein. Wenn er ihn warten ließ, dann vermutlich, weil er ihm Gleichgültigkeit vorgaukeln oder seine Überlegenheit demonstrieren wollte. Sicher, Drake hätte ihn überraschen können. Er kannte seine Verstecke in der Stadt. Doch warum ihn brüskieren, wenn er derjenige war, der hier als Bittsteller auftrat? Er hasste diese Rolle und den Preis, den sein Meister für seine Hilfe verlangen würde. Doch all seine Nachforschungen waren im Sand verlaufen. Tiefwasser war seine letzte Chance, herauszufinden, wo Feyleen steckte.
Er musste etwa zwei Stunden warten, ehe der schmuddelige Samtvorhang beiseite geschoben wurde und eine vermummte Gestalt auf die Sitzbank ihm gegenüber glitt. Sein Meister nahm den Hut ab und fuhr sich flüchtig mit der regenfeuchten Hand durch das kurz geschorene Haar. Als Vermächtnis einer schicksalhaften Begegnung hatte sein Gesicht eine ungesund graue Färbung zurückbehalten. Dafür hatte die Veränderung die Zeichen der Zeit aufgehalten: Sein stoppeliger Dreitagebart mochte an den Schläfen etwas ergraut sein, doch um die kalten hellen Augen war kein Fältchen zu sehen.
„Drake“, sagte der Assassine kühl. Wie immer verlor er nicht viele Worte, sondern kam gleich auf das Wesentliche zu sprechen: „Was willst du?“
Der Albino schob ihm einen der Weinbecher entgegen und prostete ihm wortlos zu.
„Ich brauche deine Hilfe“, sagte er, obgleich er darauf wetten mochte, dass sein Meister längst über sein Anliegen informiert war. „Seit einiger Zeit werde ich von einer rachsüchtigen Dämonin verfolgt. Feyleen war ihr Name, als sie noch sterblich war. Vor zwei Jahren besiegte sie ihre Herrin, eine Erzdämonin niederen Ranges, und nennt sich seither Königin der Sukkubi. Ich habe verschiedene Magier und Dämonologen mit der Suche nach ihr beauftragt, doch bisher ohne Erfolg. Ich hatte gehofft, du könntest deine Verbindungen zum Schädelhafen spielen lassen, um mehr herauszufinden.“
„Hm“, machte sein Meister unbestimmt und führte den Becher an die Lippen, ohne jedoch davon zu trinken.
Interessant, dachte Drake. Also hielt er es nicht für ausgeschlossen, dass Drake hierher gekommen war, um ihn zu vergiften. Das war gut, denn jede Unsicherheit seines Gegenübers verschaffte ihm einen Verhandlungsvorteil.
„Und warum sollte mir daran gelegen sein, dir zur helfen?“, erkundigte sich der Assassine.
Drake ließ ein paar bedeutungsschwere Augenblicke verstreichen, ehe er ihm einen kleinen Lederbeutel über den Tisch schob: sein Angebot. Sein Meister entnahm dem Beutel eine kleine Anstecknadel mit dem Wappen der Stadt Immerlund. Das Symbol war unmissverständlich: Immerlund gehörte zu Drakes Einzugsgebiet. Die Übergabe des Wappens bedeutete, dass er ihm als Gegenleistung für seine Erkundigungen alle Kontakte und Stammkunden in der Stadt überlassen würde.
Der Assassine kniff die Augen zusammen.
„Diese Dämonin scheint dir einiges wert zu sein“, bemerkte er.
„Bei unseren letzten beiden Begegnungen habe ich je ein Körperteil verloren“, erwiderte Drake lakonisch. „Keine Tradition, die ich fortzuführen gedenke.“
Sein Meister maß ihn mit dem lauernden Blick eines Luchses. Drake wusste, er würde nicht lockerlassen ohne den Versuch ihn zu demütigen. Das war einer der Gründe, weshalb er so lange gezögert hatte, hierher zu kommen.
„Du hast keine Kosten und Mühen gespart, ein Tötungskommando zusammenzustellen“, sagte der Assassine unvermittelt. „Ein Geschwisterpaar, mit dem du schon einmal vor acht Jahren zu tun hattest, wenn ich recht informiert bin.“
Für einen Augenblick erstarrten Drakes Gesichtszüge. Wie hatte er das so schnell herausgefunden? Die Mundwinkel seines Meisters zuckten spöttisch. Dann lehnte er sich zurück und kostete mit herablassender Lässigkeit von dem Wein.
„Und jetzt sag mir, von wem du tatsächlich besessen bist, Drake. Von dieser Sukkubus oder den Fedaykin-Geschwistern?“
Kapitel I: Die Hochzeit
Grimwardt
Fünf Tage zuvor in der Abtei des Schwertes.
Applaus brandete auf, als Faust unter Grimwardts Axthieb zu Boden ging. Miu war wie üblich gleich zur Stelle, um die Prellungen zu heilen, die die beiden Kontrahenten bei dem Turnierkampf davongetragen hatten. Das „Duell der Giganten“ am Ende eines Turniertages hatte in der Abtei des Schwertes Tradition, doch eine Schau wie diese hatte wohl keiner der Zuschauer je geboten bekommen. Nach den schweren Verlusten im Schattenkrieg und dem verheerenden Ende des letzten Festturniers hatte die Abtei gute Reklame bitterer nötig denn je. Und für die Bewohner der Talländer war der Wettkampf um die Nachfolge Jareth Burlisks eine willkommene Abwechslung nach den Monaten der Entbehrung: Die Heerscharen der Schatten-Allianz hatten von Schattental bis Myth Drannor eine Schneise der Verwüstung hinterlassen und für das gemeine Volk waren harte Zeiten angebrochen. Doch von den Sorgen und Anstrengungen der letzten Monate war an diesem Tag nichts zu spüren. Das Wettturnier war ein voller Erfolg: Miu hatte zu Mittag für ein magisches Festmahl gesorgt und die Kunde von der kostenlosen Verpflegung hatte sich so schnell herumgesprochen, dass Grimwardt ein zweites Heldenmahl hatte auftischen müssen, um dem Ansturm an hungrigen Mäulern gerecht zu werden. Die Tribünen quollen förmlich über und Waffenmeister Borgo konnte sich vor Neuanmeldungen für das nächste Ausbildungsjahr kaum retten.
„Fast wieder der Alte“, brummte der Tempuspriester und streckte Faust die Hand hin. Mit einem Grummeln ließ dieser sich aufhelfen. Faust mochte einer der beste Kämpfer sein, denen Grimwardt je begegnet war, doch in Friedenszeiten war er ein müßiger Taugenichts und einer Schande für sich und andere. Zwei Zehntage hatte er in Myth Drannor dem Wein und den Frauen gefrönt, ehe Miu ihn in ihrer Verzweiflung in die Abtei geschleift hatte. Grimwardt, der mit dem Wiederaufbau der Abtei beschäftigt war, hatte seinem unsteten Freund eine Portion Disziplin verordnet und ihn mit der Säuberung der Katakomben betraut. Die Portale im Kellerlabyrinth der Abtei, die dem Abteivorsteher schon seit Jahrzehnten zu schaffen machten, waren nicht nur Ausgangspunkt für zahlreiche Drow-Überfälle. In den letzten Jahren hatten zu Grimwardts wachsender Verärgerung auch ein Betrachter und ein illithidischer Menschenhändler die bequeme Abkürzung für sich entdeckt. Faust hatte dem regen Durchgangsbetrieb ein Ende gesetzt und nebenbei noch einen Sklaven-Umschlagsplatz im Unterreich aufgerieben. Die Arbeit hatte ihm sichtlich zugute gereicht.
Grimwardt überließ es seinem Gefährten die Menge bei Laune zu halten, während er sich eilig aus der Arena stahl. Doch er hatte die Rechnung ohne die Schar von Bewunderern gemacht, die ihm hinter der Tribüne auflauerten. Seit Grax, der Halbork-Barde, ihre Taten im Schattenkrieg in Verse gefasst hatte, waren die Gefährten von der Schwertküste bis nach Myth Drannor zu einiger Berühmtheit gelangt.
Grimmig schlug Grimwardt sich bis zum Hauptgebäude durch, wo Sir Silas auf ihn wartete. Silas, der Gewinner des heutigen Wettspektakels, würde Jareths Platz als Erster Schwertbruder einnehmen.
„Meinen Glückwunsch“, sagte der junge Paladin und verneigte sich ehrerbietig. „Ein beeindruckender Kampf und ein verdienter Sieg, mein Herr.“
„Gleichfalls“, grummelte Grimwardt und schob Sir Silas in sein Arbeitszimmer, um auch den Aufdringlichsten seiner Verfolger abzuschütteln. „Meine Zeit ist knapp bemessen, darum werde ich gleich damit beginnen, Euch in Eure Aufgaben einzuweisen.“
„Ich bitte darum.“
Grimwardt kam nicht weit mit seinen Ausführungen, denn schon nach wenigen Augenblicken klopfte es an der Tür.
„Was ist?“
„Verzeiht, Signor Generale, störe ich?“
Der Priester erkannte die gnomische Besucherin als eine der Wettkampfteilnehmerinnen. Lucia di Santa Leone war eine gnomische Maestra, eine cormyrische Hofschwertmeisterin. Auf ihrem Reittier, einem schneeweißen Leoparden, hatte die kleine Schwertkämpferin beim Lanzenstechen für Furore gesorgt und war innerhalb kürzester Zeit zum Publikumsliebling avanciert. Nun lüftete sie mit einer schwungvollen Bewegung ihr Federbarett und verneigte sich mit der Hand auf dem Herzen.
„Nur eine momento, Signore.“ Im Nu war die quirlige Gnomin im Zimmer und plapperte emsig drauflos. „Lady Lucia di Santa Leone ist mein Name. Ihr erinnert Euch? Bene. Ich wollte euch noch sagen, dass es ist eine Ehre für mich, Eure Bekanntschaft zu machen. Ich weiß, ich habe nur erreicht dritte Platz in diese Wettkampf und Sir Silas wird sein großartige Schwertbruder. Doch es wäre noch größere Ehre für mich, würdet Ihr annehmen meine Schwert und meine Dienst.“ Mit diesen Worten ging Lady Lucia vor Grimwardt in die Knie und legte ihm ihr Schwert zu Füßen. „Ich gelobe, ich will einsetzen meine ganze Kraft und Glaube für Ehre von Tempus, wenn Ihr mich nehmt in Eure Dienste, Generale.“
Erwartungsvolle Stille.
Grimwardt räusperte sich unschlüssig. Lucias Glaubenseifer und ihre Tatkraft imponierten ihm. Doch als ausgebildete Maestra würde sich die Gnomin nicht mit einem Söldnerlohn abspeisen lassen. Und eine weitere Festanstellung konnte sich die Abtei nicht leisten. Die magischen Warnvorrichtungen hatten Unsummen verschlungen und auch die Reparaturen am Außenwall waren nicht billig gewesen. Dazu kam, dass Grimwardt auf der Suche nach einem Abteimagier war, um den Gebäudekomplex dauerhaft magisch abzuriegeln. Und auch die Kosten für das „Projekt Achse des Guten“ mussten gedeckt werden: Vor zwei Monaten hatte Grimwardt mit Steinschildherrin Erdmute von Sundabar ein Abkommen geschlossen zur gegenseitigen Unterstützung im Kampf gegen die Feinde der Herzlande. Das Projekt sollte zudem einen kulturellen Austausch zwischen Schülern der Abtei und zwergischen Shieldsar-Rekruten ermöglichen. Dem Bündnisbeitritt seines elfischen Gefährten Nimoroth, der eine Mielikki-Tempelschule in Myth Drannor leitete, hatte Grimwardt zunächst skeptisch gegenüber gestanden. Nimoroths elfisches Gefasel von Gewaltverzicht und der Liebe zur Natur schien ihm kein passendes Gedankengut für ein Kriegsrekrutierungslager. Doch weil er den Waldelfen nicht kränken wollte und da er schlecht einen Rückzieher machen konnte, wo doch das Projekt offiziell der Völkerverständigung diente, hatte er Nimoroths Beitrittsgesuch letztendlich abgesegnet. Die Reisekosten für den Schüleraustausch jedoch würden zu einem Großteil auf der Abtei lasten, da die Zwergin Erdmute kaum Unterstützung von der Stadt Sundabar erhielt und Nimoroth in seiner Genügsamkeit keine Gebühren für die Ausbildung an seiner Schule erhob.
Doch abgesehen von diesen finanziellen Überlegungen wäre Lady Lucia zweifellos eine Bereicherung für die Abtei. Und das nicht nur wegen ihres Geschicks mit der Lanze. Sir Silas war gewiss ein rechtschaffener und gottesfürchtiger Mann. Doch er war ein Adliger und besaß nicht Jareths Beliebtheit beim Volk. Als Aushängeschild für die Abtei, deren Rekruten vor allem aus den unteren Ständen stammten, war er mit seiner steifen und vornehmen Art gänzlich untauglich. Die schillernde Gnomin dagegen hatte die Herzen der Taliser im Sturm erobert.
„Maestra“, entschied Grimwardt schließlich. „Die Ehre ist ganz auf meiner Seite. Ich bin sicher, dass sich für Euch ein Platz in diesen Mauern finden lässt.“ Die Frage nach ihrem Sold ließ er bewusst unerwähnt.
„Mille grazie, Signor Generale“, gnomelte die Schwertmeisterin und schwang ihren Hut.
Im selben Moment begann die Luft zu flirren und Winter materialisierte sich vor den Augen der Anwesenden.
„Grim, ich muss mit dir reden.“
Ungeniert riss Winter wie üblich das Gespräch an sich. Grimwardt schloss die Augen. Er wurde langsam zu alt für die Wutanfälle, die Winters Mangel an Beherrschtheit in ihm auslöste.
„Maestra, Sir Silas“, knirschte er. „Würdet Ihr meine Schwester und mich wohl entschuldigen.“
Winter wartete nicht einmal, bis die beiden die Tür hinter sich geschlossen hatten.
„Ich werde morgen heiraten“, eröffnete sie ihrem Bruder.
Herr, steh’ mir bei. So ein Gespräch.
„Und?“, knurrte Grimwardt. „Ist ja wohl nicht das erste Mal.“
„Siehst du, genau diese Einstellung ist der Grund, warum ich dich noch nie auf meine Hochzeit eingeladen habe!“
„Habe ich dich je darum gebeten?“
„Nein. Aber dieses Mal hätte ich dich gerne dabei. Doch ich muss sicher sein, dass du dich auch zu benehmen weißt.“
„Dass ich mich…?!“ Winters Dreistigkeit verschlug ihm wieder einmal die Sprache. „Das ist ja wohl die Höhe! Wer ist denn hier diejenige, die einen Ehemann nach dem anderen abserviert und erwartet, dass ich dieses Lotterleben auch noch gutheiße.“
„Könntest du mit dieser Meinung vielleicht morgen ausnahmsweise mal hinter dem Berg halten? Um meinetwillen?“
„Hmpf“, grummelte Grimwardt. „Solange ich keine Tischrede halten muss.“
„Danke“, seufzte Winter. „Das bedeutet mir sehr viel.“
„Wer ist denn der ‚Glückliche’?“
„Captain Joe Blackbird.“ Winter zögerte, ehe sie hinzufügte: „Ein Piratenfürst.“
Nachdem Grimwardt seinen Hustenanfall überwunden hatte, schickte er ein stummes Stoßgebet zum Himmel.
Winter
Am nächsten Tag am Hafen von Hlondeth, Vilhongriff.
„So kann sie doch nicht auf einer Hochzeit erscheinen!“
Winter fühlte sich eher als Teil einer Freakshow denn als Mittelpunkt einer Hochzeitsgesellschaft: Faust war natürlich nicht ohne sein Schwert erschienen, Grimwardt hatte es nicht einmal für nötig befunden, das eingetrocknete Blut von seiner Axt zu entfernen, Boltor stank wie üblich nach dem Inhalt seines Humpens und sie selbst steckte in einem grässlichen Monster von Kleid, dessen verwaschenes Gelborange sich mit ihrem roten Haar biss, weil Joe darauf bestanden hatte, dass sie zur Trauung das Hochzeitskleid seiner Großmutter trug. Die Krönung aber bildete Miu, die in ihren uralten Lumpen zum Treffpunkt an den Quais erschienen war. In ihrer Not versuchte Winter zu retten, was zu retten war, und türmte in aller Eile ihren langweiligen Dutt zu einer halbwegs festtagstauglichen Hochsteckfrisur auf. Die stumme Karaturianerin harrte ihrer Bemühungen mit widerwillig versteiftem Oberkörper und angespannten Kiefermuskeln.
„Warum habt ihr nichts gesagt, verflucht? Ich hätte ihr doch eines meiner Ballkleider geben können.“
„Sie nimmt keine Geschenke an“, belehrte Faust die nervöse Braut. „Genauso wenig wie Leihgaben. Sie besitzt nichts, was nicht unbedingt zum Leben notwendig ist, und würde niemals etwas behalten, das sich zu Geld machen ließe, mit dem sie arme Kinder füttern oder kranke Leute heilen könnte.“
„So ruiniert sie jedenfalls meinen Hochzeitstag!“
Die Sonne stand bereits im Zenit und die kleine Hochzeitsgesellschaft badete in der schwülen Sommerhitze im Schweiß, als am Eingang der Hafenbucht endlich die Segel der Sturmhexe aufleuchteten.
„Schnell“, rief Winter. „Ehe die Hafenwache die Flagge erkennt.“
Hastig teleportierte sie sich und ihre Gäste an Bord des Dreimasters. Die Crew hatte sich an Deck versammelt, um der Braut des Captains einen gebührenden Empfang zu bereiten, der in diesem Fall aus ein paar anstößigen „Harrrrrs“ und einigen obszönem Bemerkungen über Winters Hinterteil bestand. Was ihre unorthodoxe Interpretation des Begriffs „Festtagsgarderobe“ betraf, so stand die Mannschaft der Sturmhexe den Brautbegleitern in nichts nach: Die Seehexe Sycorax trug ein Kleid aus Fischgräten und Seetang, der alte Gunnar, Joes Erster Maat, hatte sich zur Feier des Tages ein Schlammbad gegönnt und die Werhaizwillinge Roy und Ray hatten auf jegliche Bekleidung oberhalb der Gürtellinie verzichtet, um ihre schneidigen Fischleiber besser zur Geltung zu bringen.
„Umberlee zum Gruße, ihr Landratten!“, polterte es vom Steuerdeck und Captain Joe stolzierte mit aufgeplusterter Brust auf seine Gäste zu. Lüstern packte er seine Braut bei den Pobacken, zog sie zu sich heran und erstickte ihre Begrüßung in einer feuchtnassen Kussattacke. Er schmeckte nach Fisch und Rum und etwas, über das Winter lieber nicht weiter nachdachte. „Knackig wie ein junger Krebs, meine kleine Auster.“
Mit seiner Hakenhand und der Rastamähne glich Captain Joe Blackbird der Bilderbuchversion eines Piratenfürsten. Um die Hüfte trug er ein Rapier und mehrere Dolche und sein stählerner, olivfarbener Oberkörper, der ihn zu einer durchaus ansehnlichen Erscheinung und einer halbwegs erträglichen Brautwahl machte, war mit Tätowierungen von Schatzkarten übersät. Diese Schatzkarten waren der Grund für Winters Entscheidung, sich mit Joe zu vermählen. Die Heiratsschwindlerin glaubte nicht an Joes Beteuerungen, der ihr hatte weismachen wollen, die Karten seien nichts weiter als Fälschungen, die seine Feinde nach seinem Tod in die Irre führen sollten, damit er sich auch noch im Jenseits über sie lustig machen konnte. Sie würde schon noch herausfinden, was es tatsächlich mit den Tätowierungen auf sich hatte… und bis dahin würde sie die willige Piratenbraut mimen.
„Schatz“, schnurrte sie, während sie es sich auf dem Poller dem Steuerrad gegenüber bequem machte. „Du hast mir immer noch nicht verraten, wo unsere Hochzeit stattfinden soll.“
„Geduld, meine kleine Auster. Wenn die Winde uns gewogen sind, sind wir in knapp fünf Stunden dort.“
Es wurde bereits dämmrig, als am Horizont eine kleine Urwaldinsel in Sicht kam. Winter stieß einen Schrei der Überraschung aus und rannte aufgeregt zur Reling: Hell erleuchtet im Schein mehrere Fackeln ragten am Strand der Insel zwei steinerne Monumente in den Himmel. Die Statuen waren in einem primitiven Stil gehalten, doch die Ähnlichkeit war unverkennbar: Sie stellten Joe und Winter dar. Zu Füßen der beiden haushohen Statuen konnte Winter eine Schar Eingeborener ausmachen, die mit Fackeln zum Strand liefen, um die Hochzeitsgäste zu begrüßen.
„Winter Blackbird“, sagte Joe feierlich. „Darf ich vorstellen? Deine Insel. Alles Gute zu unserem Hochzeitstag.“
„Meine Insel?“ Winter wirbelte herum und schlug in ehrlicher Begeisterung die Hände zusammen.
„Du weißt, ich mag große Geschenke“, grinste Joe. Davon wusste Winter ein Lied zu singen. Das hier übertraf sogar den monumentalen Lustbrunnen, mit dem der Captain sie zur Verlobung überrascht hatte. „Und heute Nacht wirst du noch ein größeres zu Gesicht bekommen, hehehehe“, fügte Joe mit einem gänzlich unnötigen Augenzwinkern hinzu.
Winter lachte affektiert und versuchte den aufkeimenden Brechreiz zu unterdrücken.
Plötzlich kam Bewegung in die Hochzeitsgesellschaft.
„Planke!“, erschallte ein Ruf vom Heck des Schiffes. Die Forderung wurde aufgenommen und wenig später brüllte die gesamte Mannschaft im Chor: „Planke! Planke! Planke!“
Winter sah Joe fragend an.
„Ein alter Piratenbrauch…“, konnte dieser noch sagen, ehe die Werhaizwillinge Roy und Ray ihn zu Boden rangen und an Hand, Haken und Füßen fesselten. Danach war Winter an der Reihe.
Wenige Minuten darauf stand das Brautpaar aneinandergefesselt auf der Schiffsplanke, während die ausgelassene Meute sie mit Säbeln und Speeren zum Springen aufforderte. Die Regeln waren einfach: Befreien und zur Insel schwimmen. Wer zurückblieb, dem verwehrte Umberlee, die Göttin der Meere, ihren ehelichen Segen.
Umberlee kann mich mal, dachte Winter im Vertrauen auf ihr magisches Amulett des Wasseratmens.
Faust
Kurz darauf.
„Das war nun wirklich nicht nötig, Miu“, sagte Faust, während er durch das seichte Küstenwasser watete und sich eine Strähne seines klatschnassen Haars aus der Stirn strich. Miu wandte sich um und zog ironisch eine Augenbraue in die Höhe.
„Schon klar, meine Aktion war genauso unnötig“, räumte er ein.
Miu, die nichts von Winters Amulett des Wasseratmens wusste, war der Gefährtin in Sorge um deren Leben hinterher gesprungen. Woraufhin Faust, der nichts von Mius mysteriösen Kräften ahnte, dieser ins kalte Nass gefolgt war. Das einzige Resultat dieser Sprungserie war, dass beide nun patschnass auf die Insel zuwateten und sich später Boltors spöttische Kommentare würden anhören müssen.
Als sie am Strand ankamen, wurden sie von einer Schar aufgeregt tuschelnder Eingeborener empfangen, die das Auftauchen der beiden Neuankömmlinge offenbar in größte Verwirrung stürzte. Schließlich trat eine kleine, alte Frau vor, deren nackter Körper mit fremdartigen Zeichen bemalt war, und es wurde still. Sie trug einen gewundenen Stab und an Ohren, Nase und Brüsten baumelten schwere Muschelgehänge.
„Wir gehören zu der Hochzeitsgesellschaft“, erklärte Faust und wies auf das Piratenschiff.
Wieder begannen die Eingeborenen zu tuscheln. Die Schamanin hob die Hände und bedeutete Faust und Miu sich niederzuknien. Um nicht unhöflich zu erscheinen, taten die beiden wie ihnen geheißen und knieten sich ins seichte Wasser. Die Eingeborene murmelte ein paar kehlige Worte in ihrer Muttersprache und verstreute ein pulvriges Gewürz aus einer Kokosschale. Dabei wog sie sich sacht hin und her und verdrehte die Augen bis nur noch das Weiße zu sehen war.
Offenbar eine Art Begrüßungsritual, dachte Faust. Dann spürte er wie ein Schatten über ihn fiel.
„Was zum…?“
Faust fuhr herum, doch da brandete die mannshohe Welle auch schon auf die beiden am Boden Kauernden nieder. Prustend tauchte er kurz darauf aus dem Wasser und wollte lauthals seinen Ärger kundtun. Doch die feierliche Stimme der Schamanin ließ ihn innehalten.
„Was das Meer hat vereint, soll der Mensch nicht trennen. So sollt Ihr sein Mann und Frau im Angesicht Umberlees.“
Faust starrte sie entgeistert an.
Oh.
Scheiße.
Zwei junge Krieger traten vor, um den beiden Frisch Vermählten Blumenkränze um den Hals zu hängen, und die Eingeborenen brachen in Jubelschreie aus. Erst jetzt bemerkte Faust Winter und Joe, die wenige Augenblicke nach ihnen am Strand eingetroffen waren. Als Winter erkannte, was geschehen war, konnte sie sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Die keuche Miu dagegen schien ihre unverhoffte Vermählung nicht so locker zu nehmen. Sekundenlang stand sie wie vom Blitz getroffen da. Dann wich alles Blut aus ihren Wangen und sie floh voller Entsetzen in den Dschungel.
Faust stöhnte.
„Miu!“, rief er und rannte ihr nach.
Er fand die fromme Karaturianerin betend am Ufer eines Moors.
„Miu, nimm das doch nicht so ernst“, bat er sie. „Ich glaube nicht, dass es zählt, wenn die… Eheleute nichts von ihrem Glück ahnen. Und selbst wenn doch, kann Grimwardt oder ein anderer Priester uns sicher wieder scheiden. Und überhaupt: Sofern… ähm… die Ehe nicht vollzogen wurde, hast du wohl kaum etwas zu befürchten, oder?“
Warum hältst du nicht einfach die Klappe?, schalt er sich noch während er sprach.
Miu sprang auf und bedeutete ihm mit einer vehementen Geste zu gehen. Noch nie hatte er seine sanftmütige Gefährtin so gebieterisch und kompromisslos erlebt. Faust hob abwehrend die Hände.
„Schon gut, ich verschwinde.“
Doch er zögerte, sie hier draußen allein zu lassen. Erst als sie ihn zum zweiten Mal zum Gehen mahnte, kehrte er widerwillig zum Strand zurück. Inzwischen war die Hochzeitsfeier in vollem Gange: Die Piraten hatten begonnen, Rumfässer aus dem Sand zu graben, während die Eingeborenen mit Buschtrommeln und einheimischen Gesängen für Stimmung sorgten.
„Na, ihr hattet es aber eilig“, empfing Captain Joe Faust mit einem obszönen Grinsen.
Großartig, dachte Faust lakonisch. Jetzt hatte er Miu auch noch in den Augen der Gesellschaft entjungfert. Langsam wurde ihm klar, weshalb sie ihn so vehement aus ihrer Nähe hatte wissen wollen. Faust fand, dass es nicht mehr schlimmer kommen konnte, und ließ sich in den Sand sinken, um sich hemmungslos zu betrinken.
Doch es kam noch schlimmer.
Das nächste, woran er sich erinnerte, war ein brennender Pfeil, der sich eine Handbreit vor seinem Gesicht in den Sand grub. Kurz darauf stand der Strand in Flammen und das entrüstete Gebrüll des Captains übertönte die panischen Rufe der Flüchtenden.
„Die klauen mein Schiff!“
Prolog
Drake
Tiefwasser, Schwertküste, zwanzigster Tag der Flammleite, 1382 TZ.
Der Gestank nach Sommerregen, Fisch und Unrat hing schwer in der Luft, als Drake an diesem Abend an den Quais entlang schritt. Ratten huschten durch die Schlammrillen, die Pferdekutschen im aufgeweichten Boden hinterlassen hatten, und aus schmuddeligen Hafenspelunken drang grobschlächtiges Gelächter. Es war eines jener Viertel, wo Huren an jeder Straßenecke lungerten und Bestechungsgelder den Stellenwert von Trinkgeld hatten. Drake verabscheute Orte wie diesen und die Erinnerungen, die sie weckten. Er war schon seit Jahren nicht mehr hier gewesen. Der Albino hatte es längst nicht mehr nötig, seine Kundschaft an Orten zu suchen, die förmlich nach Verbrechen stanken.
Er betrat eine Taverne, nannte dem Wirt seinen Namen und warf ihm ein paar Münzen zu für zwei Becher Wein und das Vorrecht, eine der Sitznischen zu beziehen, die durch Vorhänge vom Schankraum getrennt waren. Wer sich hierher verzog, der war entweder auf zwielichtige Geschäfte oder ein Stelldichein mit einer der Bordsteinschwalben aus. Drake jedoch begehrte weder das eine noch das andere.
Seit zwei Tagen war er bereits in der Stadt. Seine Anwesenheit in Tiefwasser konnte seinem alten Lehrmeister nicht entgangen sein. Wenn er ihn warten ließ, dann vermutlich, weil er ihm Gleichgültigkeit vorgaukeln oder seine Überlegenheit demonstrieren wollte. Sicher, Drake hätte ihn überraschen können. Er kannte seine Verstecke in der Stadt. Doch warum ihn brüskieren, wenn er derjenige war, der hier als Bittsteller auftrat? Er hasste diese Rolle und den Preis, den sein Meister für seine Hilfe verlangen würde. Doch all seine Nachforschungen waren im Sand verlaufen. Tiefwasser war seine letzte Chance, herauszufinden, wo Feyleen steckte.
Er musste etwa zwei Stunden warten, ehe der schmuddelige Samtvorhang beiseite geschoben wurde und eine vermummte Gestalt auf die Sitzbank ihm gegenüber glitt. Sein Meister nahm den Hut ab und fuhr sich flüchtig mit der regenfeuchten Hand durch das kurz geschorene Haar. Als Vermächtnis einer schicksalhaften Begegnung hatte sein Gesicht eine ungesund graue Färbung zurückbehalten. Dafür hatte die Veränderung die Zeichen der Zeit aufgehalten: Sein stoppeliger Dreitagebart mochte an den Schläfen etwas ergraut sein, doch um die kalten hellen Augen war kein Fältchen zu sehen.
„Drake“, sagte der Assassine kühl. Wie immer verlor er nicht viele Worte, sondern kam gleich auf das Wesentliche zu sprechen: „Was willst du?“
Der Albino schob ihm einen der Weinbecher entgegen und prostete ihm wortlos zu.
„Ich brauche deine Hilfe“, sagte er, obgleich er darauf wetten mochte, dass sein Meister längst über sein Anliegen informiert war. „Seit einiger Zeit werde ich von einer rachsüchtigen Dämonin verfolgt. Feyleen war ihr Name, als sie noch sterblich war. Vor zwei Jahren besiegte sie ihre Herrin, eine Erzdämonin niederen Ranges, und nennt sich seither Königin der Sukkubi. Ich habe verschiedene Magier und Dämonologen mit der Suche nach ihr beauftragt, doch bisher ohne Erfolg. Ich hatte gehofft, du könntest deine Verbindungen zum Schädelhafen spielen lassen, um mehr herauszufinden.“
„Hm“, machte sein Meister unbestimmt und führte den Becher an die Lippen, ohne jedoch davon zu trinken.
Interessant, dachte Drake. Also hielt er es nicht für ausgeschlossen, dass Drake hierher gekommen war, um ihn zu vergiften. Das war gut, denn jede Unsicherheit seines Gegenübers verschaffte ihm einen Verhandlungsvorteil.
„Und warum sollte mir daran gelegen sein, dir zur helfen?“, erkundigte sich der Assassine.
Drake ließ ein paar bedeutungsschwere Augenblicke verstreichen, ehe er ihm einen kleinen Lederbeutel über den Tisch schob: sein Angebot. Sein Meister entnahm dem Beutel eine kleine Anstecknadel mit dem Wappen der Stadt Immerlund. Das Symbol war unmissverständlich: Immerlund gehörte zu Drakes Einzugsgebiet. Die Übergabe des Wappens bedeutete, dass er ihm als Gegenleistung für seine Erkundigungen alle Kontakte und Stammkunden in der Stadt überlassen würde.
Der Assassine kniff die Augen zusammen.
„Diese Dämonin scheint dir einiges wert zu sein“, bemerkte er.
„Bei unseren letzten beiden Begegnungen habe ich je ein Körperteil verloren“, erwiderte Drake lakonisch. „Keine Tradition, die ich fortzuführen gedenke.“
Sein Meister maß ihn mit dem lauernden Blick eines Luchses. Drake wusste, er würde nicht lockerlassen ohne den Versuch ihn zu demütigen. Das war einer der Gründe, weshalb er so lange gezögert hatte, hierher zu kommen.
„Du hast keine Kosten und Mühen gespart, ein Tötungskommando zusammenzustellen“, sagte der Assassine unvermittelt. „Ein Geschwisterpaar, mit dem du schon einmal vor acht Jahren zu tun hattest, wenn ich recht informiert bin.“
Für einen Augenblick erstarrten Drakes Gesichtszüge. Wie hatte er das so schnell herausgefunden? Die Mundwinkel seines Meisters zuckten spöttisch. Dann lehnte er sich zurück und kostete mit herablassender Lässigkeit von dem Wein.
„Und jetzt sag mir, von wem du tatsächlich besessen bist, Drake. Von dieser Sukkubus oder den Fedaykin-Geschwistern?“
Kapitel I: Die Hochzeit
Grimwardt
Fünf Tage zuvor in der Abtei des Schwertes.
Applaus brandete auf, als Faust unter Grimwardts Axthieb zu Boden ging. Miu war wie üblich gleich zur Stelle, um die Prellungen zu heilen, die die beiden Kontrahenten bei dem Turnierkampf davongetragen hatten. Das „Duell der Giganten“ am Ende eines Turniertages hatte in der Abtei des Schwertes Tradition, doch eine Schau wie diese hatte wohl keiner der Zuschauer je geboten bekommen. Nach den schweren Verlusten im Schattenkrieg und dem verheerenden Ende des letzten Festturniers hatte die Abtei gute Reklame bitterer nötig denn je. Und für die Bewohner der Talländer war der Wettkampf um die Nachfolge Jareth Burlisks eine willkommene Abwechslung nach den Monaten der Entbehrung: Die Heerscharen der Schatten-Allianz hatten von Schattental bis Myth Drannor eine Schneise der Verwüstung hinterlassen und für das gemeine Volk waren harte Zeiten angebrochen. Doch von den Sorgen und Anstrengungen der letzten Monate war an diesem Tag nichts zu spüren. Das Wettturnier war ein voller Erfolg: Miu hatte zu Mittag für ein magisches Festmahl gesorgt und die Kunde von der kostenlosen Verpflegung hatte sich so schnell herumgesprochen, dass Grimwardt ein zweites Heldenmahl hatte auftischen müssen, um dem Ansturm an hungrigen Mäulern gerecht zu werden. Die Tribünen quollen förmlich über und Waffenmeister Borgo konnte sich vor Neuanmeldungen für das nächste Ausbildungsjahr kaum retten.
„Fast wieder der Alte“, brummte der Tempuspriester und streckte Faust die Hand hin. Mit einem Grummeln ließ dieser sich aufhelfen. Faust mochte einer der beste Kämpfer sein, denen Grimwardt je begegnet war, doch in Friedenszeiten war er ein müßiger Taugenichts und einer Schande für sich und andere. Zwei Zehntage hatte er in Myth Drannor dem Wein und den Frauen gefrönt, ehe Miu ihn in ihrer Verzweiflung in die Abtei geschleift hatte. Grimwardt, der mit dem Wiederaufbau der Abtei beschäftigt war, hatte seinem unsteten Freund eine Portion Disziplin verordnet und ihn mit der Säuberung der Katakomben betraut. Die Portale im Kellerlabyrinth der Abtei, die dem Abteivorsteher schon seit Jahrzehnten zu schaffen machten, waren nicht nur Ausgangspunkt für zahlreiche Drow-Überfälle. In den letzten Jahren hatten zu Grimwardts wachsender Verärgerung auch ein Betrachter und ein illithidischer Menschenhändler die bequeme Abkürzung für sich entdeckt. Faust hatte dem regen Durchgangsbetrieb ein Ende gesetzt und nebenbei noch einen Sklaven-Umschlagsplatz im Unterreich aufgerieben. Die Arbeit hatte ihm sichtlich zugute gereicht.
Grimwardt überließ es seinem Gefährten die Menge bei Laune zu halten, während er sich eilig aus der Arena stahl. Doch er hatte die Rechnung ohne die Schar von Bewunderern gemacht, die ihm hinter der Tribüne auflauerten. Seit Grax, der Halbork-Barde, ihre Taten im Schattenkrieg in Verse gefasst hatte, waren die Gefährten von der Schwertküste bis nach Myth Drannor zu einiger Berühmtheit gelangt.
Grimmig schlug Grimwardt sich bis zum Hauptgebäude durch, wo Sir Silas auf ihn wartete. Silas, der Gewinner des heutigen Wettspektakels, würde Jareths Platz als Erster Schwertbruder einnehmen.
„Meinen Glückwunsch“, sagte der junge Paladin und verneigte sich ehrerbietig. „Ein beeindruckender Kampf und ein verdienter Sieg, mein Herr.“
„Gleichfalls“, grummelte Grimwardt und schob Sir Silas in sein Arbeitszimmer, um auch den Aufdringlichsten seiner Verfolger abzuschütteln. „Meine Zeit ist knapp bemessen, darum werde ich gleich damit beginnen, Euch in Eure Aufgaben einzuweisen.“
„Ich bitte darum.“
Grimwardt kam nicht weit mit seinen Ausführungen, denn schon nach wenigen Augenblicken klopfte es an der Tür.
„Was ist?“
„Verzeiht, Signor Generale, störe ich?“
Der Priester erkannte die gnomische Besucherin als eine der Wettkampfteilnehmerinnen. Lucia di Santa Leone war eine gnomische Maestra, eine cormyrische Hofschwertmeisterin. Auf ihrem Reittier, einem schneeweißen Leoparden, hatte die kleine Schwertkämpferin beim Lanzenstechen für Furore gesorgt und war innerhalb kürzester Zeit zum Publikumsliebling avanciert. Nun lüftete sie mit einer schwungvollen Bewegung ihr Federbarett und verneigte sich mit der Hand auf dem Herzen.
„Nur eine momento, Signore.“ Im Nu war die quirlige Gnomin im Zimmer und plapperte emsig drauflos. „Lady Lucia di Santa Leone ist mein Name. Ihr erinnert Euch? Bene. Ich wollte euch noch sagen, dass es ist eine Ehre für mich, Eure Bekanntschaft zu machen. Ich weiß, ich habe nur erreicht dritte Platz in diese Wettkampf und Sir Silas wird sein großartige Schwertbruder. Doch es wäre noch größere Ehre für mich, würdet Ihr annehmen meine Schwert und meine Dienst.“ Mit diesen Worten ging Lady Lucia vor Grimwardt in die Knie und legte ihm ihr Schwert zu Füßen. „Ich gelobe, ich will einsetzen meine ganze Kraft und Glaube für Ehre von Tempus, wenn Ihr mich nehmt in Eure Dienste, Generale.“
Erwartungsvolle Stille.
Grimwardt räusperte sich unschlüssig. Lucias Glaubenseifer und ihre Tatkraft imponierten ihm. Doch als ausgebildete Maestra würde sich die Gnomin nicht mit einem Söldnerlohn abspeisen lassen. Und eine weitere Festanstellung konnte sich die Abtei nicht leisten. Die magischen Warnvorrichtungen hatten Unsummen verschlungen und auch die Reparaturen am Außenwall waren nicht billig gewesen. Dazu kam, dass Grimwardt auf der Suche nach einem Abteimagier war, um den Gebäudekomplex dauerhaft magisch abzuriegeln. Und auch die Kosten für das „Projekt Achse des Guten“ mussten gedeckt werden: Vor zwei Monaten hatte Grimwardt mit Steinschildherrin Erdmute von Sundabar ein Abkommen geschlossen zur gegenseitigen Unterstützung im Kampf gegen die Feinde der Herzlande. Das Projekt sollte zudem einen kulturellen Austausch zwischen Schülern der Abtei und zwergischen Shieldsar-Rekruten ermöglichen. Dem Bündnisbeitritt seines elfischen Gefährten Nimoroth, der eine Mielikki-Tempelschule in Myth Drannor leitete, hatte Grimwardt zunächst skeptisch gegenüber gestanden. Nimoroths elfisches Gefasel von Gewaltverzicht und der Liebe zur Natur schien ihm kein passendes Gedankengut für ein Kriegsrekrutierungslager. Doch weil er den Waldelfen nicht kränken wollte und da er schlecht einen Rückzieher machen konnte, wo doch das Projekt offiziell der Völkerverständigung diente, hatte er Nimoroths Beitrittsgesuch letztendlich abgesegnet. Die Reisekosten für den Schüleraustausch jedoch würden zu einem Großteil auf der Abtei lasten, da die Zwergin Erdmute kaum Unterstützung von der Stadt Sundabar erhielt und Nimoroth in seiner Genügsamkeit keine Gebühren für die Ausbildung an seiner Schule erhob.
Doch abgesehen von diesen finanziellen Überlegungen wäre Lady Lucia zweifellos eine Bereicherung für die Abtei. Und das nicht nur wegen ihres Geschicks mit der Lanze. Sir Silas war gewiss ein rechtschaffener und gottesfürchtiger Mann. Doch er war ein Adliger und besaß nicht Jareths Beliebtheit beim Volk. Als Aushängeschild für die Abtei, deren Rekruten vor allem aus den unteren Ständen stammten, war er mit seiner steifen und vornehmen Art gänzlich untauglich. Die schillernde Gnomin dagegen hatte die Herzen der Taliser im Sturm erobert.
„Maestra“, entschied Grimwardt schließlich. „Die Ehre ist ganz auf meiner Seite. Ich bin sicher, dass sich für Euch ein Platz in diesen Mauern finden lässt.“ Die Frage nach ihrem Sold ließ er bewusst unerwähnt.
„Mille grazie, Signor Generale“, gnomelte die Schwertmeisterin und schwang ihren Hut.
Im selben Moment begann die Luft zu flirren und Winter materialisierte sich vor den Augen der Anwesenden.
„Grim, ich muss mit dir reden.“
Ungeniert riss Winter wie üblich das Gespräch an sich. Grimwardt schloss die Augen. Er wurde langsam zu alt für die Wutanfälle, die Winters Mangel an Beherrschtheit in ihm auslöste.
„Maestra, Sir Silas“, knirschte er. „Würdet Ihr meine Schwester und mich wohl entschuldigen.“
Winter wartete nicht einmal, bis die beiden die Tür hinter sich geschlossen hatten.
„Ich werde morgen heiraten“, eröffnete sie ihrem Bruder.
Herr, steh’ mir bei. So ein Gespräch.
„Und?“, knurrte Grimwardt. „Ist ja wohl nicht das erste Mal.“
„Siehst du, genau diese Einstellung ist der Grund, warum ich dich noch nie auf meine Hochzeit eingeladen habe!“
„Habe ich dich je darum gebeten?“
„Nein. Aber dieses Mal hätte ich dich gerne dabei. Doch ich muss sicher sein, dass du dich auch zu benehmen weißt.“
„Dass ich mich…?!“ Winters Dreistigkeit verschlug ihm wieder einmal die Sprache. „Das ist ja wohl die Höhe! Wer ist denn hier diejenige, die einen Ehemann nach dem anderen abserviert und erwartet, dass ich dieses Lotterleben auch noch gutheiße.“
„Könntest du mit dieser Meinung vielleicht morgen ausnahmsweise mal hinter dem Berg halten? Um meinetwillen?“
„Hmpf“, grummelte Grimwardt. „Solange ich keine Tischrede halten muss.“
„Danke“, seufzte Winter. „Das bedeutet mir sehr viel.“
„Wer ist denn der ‚Glückliche’?“
„Captain Joe Blackbird.“ Winter zögerte, ehe sie hinzufügte: „Ein Piratenfürst.“
Nachdem Grimwardt seinen Hustenanfall überwunden hatte, schickte er ein stummes Stoßgebet zum Himmel.
Winter
Am nächsten Tag am Hafen von Hlondeth, Vilhongriff.
„So kann sie doch nicht auf einer Hochzeit erscheinen!“
Winter fühlte sich eher als Teil einer Freakshow denn als Mittelpunkt einer Hochzeitsgesellschaft: Faust war natürlich nicht ohne sein Schwert erschienen, Grimwardt hatte es nicht einmal für nötig befunden, das eingetrocknete Blut von seiner Axt zu entfernen, Boltor stank wie üblich nach dem Inhalt seines Humpens und sie selbst steckte in einem grässlichen Monster von Kleid, dessen verwaschenes Gelborange sich mit ihrem roten Haar biss, weil Joe darauf bestanden hatte, dass sie zur Trauung das Hochzeitskleid seiner Großmutter trug. Die Krönung aber bildete Miu, die in ihren uralten Lumpen zum Treffpunkt an den Quais erschienen war. In ihrer Not versuchte Winter zu retten, was zu retten war, und türmte in aller Eile ihren langweiligen Dutt zu einer halbwegs festtagstauglichen Hochsteckfrisur auf. Die stumme Karaturianerin harrte ihrer Bemühungen mit widerwillig versteiftem Oberkörper und angespannten Kiefermuskeln.
„Warum habt ihr nichts gesagt, verflucht? Ich hätte ihr doch eines meiner Ballkleider geben können.“
„Sie nimmt keine Geschenke an“, belehrte Faust die nervöse Braut. „Genauso wenig wie Leihgaben. Sie besitzt nichts, was nicht unbedingt zum Leben notwendig ist, und würde niemals etwas behalten, das sich zu Geld machen ließe, mit dem sie arme Kinder füttern oder kranke Leute heilen könnte.“
„So ruiniert sie jedenfalls meinen Hochzeitstag!“
Die Sonne stand bereits im Zenit und die kleine Hochzeitsgesellschaft badete in der schwülen Sommerhitze im Schweiß, als am Eingang der Hafenbucht endlich die Segel der Sturmhexe aufleuchteten.
„Schnell“, rief Winter. „Ehe die Hafenwache die Flagge erkennt.“
Hastig teleportierte sie sich und ihre Gäste an Bord des Dreimasters. Die Crew hatte sich an Deck versammelt, um der Braut des Captains einen gebührenden Empfang zu bereiten, der in diesem Fall aus ein paar anstößigen „Harrrrrs“ und einigen obszönem Bemerkungen über Winters Hinterteil bestand. Was ihre unorthodoxe Interpretation des Begriffs „Festtagsgarderobe“ betraf, so stand die Mannschaft der Sturmhexe den Brautbegleitern in nichts nach: Die Seehexe Sycorax trug ein Kleid aus Fischgräten und Seetang, der alte Gunnar, Joes Erster Maat, hatte sich zur Feier des Tages ein Schlammbad gegönnt und die Werhaizwillinge Roy und Ray hatten auf jegliche Bekleidung oberhalb der Gürtellinie verzichtet, um ihre schneidigen Fischleiber besser zur Geltung zu bringen.
„Umberlee zum Gruße, ihr Landratten!“, polterte es vom Steuerdeck und Captain Joe stolzierte mit aufgeplusterter Brust auf seine Gäste zu. Lüstern packte er seine Braut bei den Pobacken, zog sie zu sich heran und erstickte ihre Begrüßung in einer feuchtnassen Kussattacke. Er schmeckte nach Fisch und Rum und etwas, über das Winter lieber nicht weiter nachdachte. „Knackig wie ein junger Krebs, meine kleine Auster.“
Mit seiner Hakenhand und der Rastamähne glich Captain Joe Blackbird der Bilderbuchversion eines Piratenfürsten. Um die Hüfte trug er ein Rapier und mehrere Dolche und sein stählerner, olivfarbener Oberkörper, der ihn zu einer durchaus ansehnlichen Erscheinung und einer halbwegs erträglichen Brautwahl machte, war mit Tätowierungen von Schatzkarten übersät. Diese Schatzkarten waren der Grund für Winters Entscheidung, sich mit Joe zu vermählen. Die Heiratsschwindlerin glaubte nicht an Joes Beteuerungen, der ihr hatte weismachen wollen, die Karten seien nichts weiter als Fälschungen, die seine Feinde nach seinem Tod in die Irre führen sollten, damit er sich auch noch im Jenseits über sie lustig machen konnte. Sie würde schon noch herausfinden, was es tatsächlich mit den Tätowierungen auf sich hatte… und bis dahin würde sie die willige Piratenbraut mimen.
„Schatz“, schnurrte sie, während sie es sich auf dem Poller dem Steuerrad gegenüber bequem machte. „Du hast mir immer noch nicht verraten, wo unsere Hochzeit stattfinden soll.“
„Geduld, meine kleine Auster. Wenn die Winde uns gewogen sind, sind wir in knapp fünf Stunden dort.“
Es wurde bereits dämmrig, als am Horizont eine kleine Urwaldinsel in Sicht kam. Winter stieß einen Schrei der Überraschung aus und rannte aufgeregt zur Reling: Hell erleuchtet im Schein mehrere Fackeln ragten am Strand der Insel zwei steinerne Monumente in den Himmel. Die Statuen waren in einem primitiven Stil gehalten, doch die Ähnlichkeit war unverkennbar: Sie stellten Joe und Winter dar. Zu Füßen der beiden haushohen Statuen konnte Winter eine Schar Eingeborener ausmachen, die mit Fackeln zum Strand liefen, um die Hochzeitsgäste zu begrüßen.
„Winter Blackbird“, sagte Joe feierlich. „Darf ich vorstellen? Deine Insel. Alles Gute zu unserem Hochzeitstag.“
„Meine Insel?“ Winter wirbelte herum und schlug in ehrlicher Begeisterung die Hände zusammen.
„Du weißt, ich mag große Geschenke“, grinste Joe. Davon wusste Winter ein Lied zu singen. Das hier übertraf sogar den monumentalen Lustbrunnen, mit dem der Captain sie zur Verlobung überrascht hatte. „Und heute Nacht wirst du noch ein größeres zu Gesicht bekommen, hehehehe“, fügte Joe mit einem gänzlich unnötigen Augenzwinkern hinzu.
Winter lachte affektiert und versuchte den aufkeimenden Brechreiz zu unterdrücken.
Plötzlich kam Bewegung in die Hochzeitsgesellschaft.
„Planke!“, erschallte ein Ruf vom Heck des Schiffes. Die Forderung wurde aufgenommen und wenig später brüllte die gesamte Mannschaft im Chor: „Planke! Planke! Planke!“
Winter sah Joe fragend an.
„Ein alter Piratenbrauch…“, konnte dieser noch sagen, ehe die Werhaizwillinge Roy und Ray ihn zu Boden rangen und an Hand, Haken und Füßen fesselten. Danach war Winter an der Reihe.
Wenige Minuten darauf stand das Brautpaar aneinandergefesselt auf der Schiffsplanke, während die ausgelassene Meute sie mit Säbeln und Speeren zum Springen aufforderte. Die Regeln waren einfach: Befreien und zur Insel schwimmen. Wer zurückblieb, dem verwehrte Umberlee, die Göttin der Meere, ihren ehelichen Segen.
Umberlee kann mich mal, dachte Winter im Vertrauen auf ihr magisches Amulett des Wasseratmens.
Faust
Kurz darauf.
„Das war nun wirklich nicht nötig, Miu“, sagte Faust, während er durch das seichte Küstenwasser watete und sich eine Strähne seines klatschnassen Haars aus der Stirn strich. Miu wandte sich um und zog ironisch eine Augenbraue in die Höhe.
„Schon klar, meine Aktion war genauso unnötig“, räumte er ein.
Miu, die nichts von Winters Amulett des Wasseratmens wusste, war der Gefährtin in Sorge um deren Leben hinterher gesprungen. Woraufhin Faust, der nichts von Mius mysteriösen Kräften ahnte, dieser ins kalte Nass gefolgt war. Das einzige Resultat dieser Sprungserie war, dass beide nun patschnass auf die Insel zuwateten und sich später Boltors spöttische Kommentare würden anhören müssen.
Als sie am Strand ankamen, wurden sie von einer Schar aufgeregt tuschelnder Eingeborener empfangen, die das Auftauchen der beiden Neuankömmlinge offenbar in größte Verwirrung stürzte. Schließlich trat eine kleine, alte Frau vor, deren nackter Körper mit fremdartigen Zeichen bemalt war, und es wurde still. Sie trug einen gewundenen Stab und an Ohren, Nase und Brüsten baumelten schwere Muschelgehänge.
„Wir gehören zu der Hochzeitsgesellschaft“, erklärte Faust und wies auf das Piratenschiff.
Wieder begannen die Eingeborenen zu tuscheln. Die Schamanin hob die Hände und bedeutete Faust und Miu sich niederzuknien. Um nicht unhöflich zu erscheinen, taten die beiden wie ihnen geheißen und knieten sich ins seichte Wasser. Die Eingeborene murmelte ein paar kehlige Worte in ihrer Muttersprache und verstreute ein pulvriges Gewürz aus einer Kokosschale. Dabei wog sie sich sacht hin und her und verdrehte die Augen bis nur noch das Weiße zu sehen war.
Offenbar eine Art Begrüßungsritual, dachte Faust. Dann spürte er wie ein Schatten über ihn fiel.
„Was zum…?“
Faust fuhr herum, doch da brandete die mannshohe Welle auch schon auf die beiden am Boden Kauernden nieder. Prustend tauchte er kurz darauf aus dem Wasser und wollte lauthals seinen Ärger kundtun. Doch die feierliche Stimme der Schamanin ließ ihn innehalten.
„Was das Meer hat vereint, soll der Mensch nicht trennen. So sollt Ihr sein Mann und Frau im Angesicht Umberlees.“
Faust starrte sie entgeistert an.
Oh.
Scheiße.
Zwei junge Krieger traten vor, um den beiden Frisch Vermählten Blumenkränze um den Hals zu hängen, und die Eingeborenen brachen in Jubelschreie aus. Erst jetzt bemerkte Faust Winter und Joe, die wenige Augenblicke nach ihnen am Strand eingetroffen waren. Als Winter erkannte, was geschehen war, konnte sie sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Die keuche Miu dagegen schien ihre unverhoffte Vermählung nicht so locker zu nehmen. Sekundenlang stand sie wie vom Blitz getroffen da. Dann wich alles Blut aus ihren Wangen und sie floh voller Entsetzen in den Dschungel.
Faust stöhnte.
„Miu!“, rief er und rannte ihr nach.
Er fand die fromme Karaturianerin betend am Ufer eines Moors.
„Miu, nimm das doch nicht so ernst“, bat er sie. „Ich glaube nicht, dass es zählt, wenn die… Eheleute nichts von ihrem Glück ahnen. Und selbst wenn doch, kann Grimwardt oder ein anderer Priester uns sicher wieder scheiden. Und überhaupt: Sofern… ähm… die Ehe nicht vollzogen wurde, hast du wohl kaum etwas zu befürchten, oder?“
Warum hältst du nicht einfach die Klappe?, schalt er sich noch während er sprach.
Miu sprang auf und bedeutete ihm mit einer vehementen Geste zu gehen. Noch nie hatte er seine sanftmütige Gefährtin so gebieterisch und kompromisslos erlebt. Faust hob abwehrend die Hände.
„Schon gut, ich verschwinde.“
Doch er zögerte, sie hier draußen allein zu lassen. Erst als sie ihn zum zweiten Mal zum Gehen mahnte, kehrte er widerwillig zum Strand zurück. Inzwischen war die Hochzeitsfeier in vollem Gange: Die Piraten hatten begonnen, Rumfässer aus dem Sand zu graben, während die Eingeborenen mit Buschtrommeln und einheimischen Gesängen für Stimmung sorgten.
„Na, ihr hattet es aber eilig“, empfing Captain Joe Faust mit einem obszönen Grinsen.
Großartig, dachte Faust lakonisch. Jetzt hatte er Miu auch noch in den Augen der Gesellschaft entjungfert. Langsam wurde ihm klar, weshalb sie ihn so vehement aus ihrer Nähe hatte wissen wollen. Faust fand, dass es nicht mehr schlimmer kommen konnte, und ließ sich in den Sand sinken, um sich hemmungslos zu betrinken.
Doch es kam noch schlimmer.
Das nächste, woran er sich erinnerte, war ein brennender Pfeil, der sich eine Handbreit vor seinem Gesicht in den Sand grub. Kurz darauf stand der Strand in Flammen und das entrüstete Gebrüll des Captains übertönte die panischen Rufe der Flüchtenden.
„Die klauen mein Schiff!“